Bürgerhaushalte sind eine feine Sache. In der Theorie erlauben sie den Bürgern, direkteren Einfluss auf die Mittelverteilung zu nehmen.

Bürgerhaushalte können unterteilt werden in partizipative Haushalte, wo die Entscheidung der Bürger rechtsverbindlich ist, und konsultative, wo man mal fragt, was die Bürger so meinen. Ob und wie die Ergebnisse der Konsultation umgesetzt werden, obliegt immer noch dem Parlament/der Verwaltung.

Weiterhin können Bürgerhaushalte nach ihrem Volumen bewertet werden. Kann der Bürger hier nur Erdnüsse bewegen, oder ist eine echte Einflussnahme auf gehaltvolle Projekte möglich?

Letztendlich spielt die Repräsentativität eine Rolle: haben alle Schichten der Bevölkerung die gleichen Möglichkeiten, am Bürgerhaushalt teilzunehmen, oder werden bestimmte Schichten signifikant bevorzugt oder benachteiligt? Kriterien sind hier vor allem Herkunft, Alter und Bildungsnähe/ferne.

Der Nutzen von Bürgerhaushalten für den einzelnen Bürger ist, dass konkrete Ideen ohne Umweg über die Parlamente eingebracht, bewertet, mit Gleichgesinnten diskutiert und verbessert werden können. Zudem stehen Geldmittel zur Finanzierung zur Verfügung, was einen Bürgerhaushalt z.B. von Liquid Feedback unterscheidet. Für die Verwaltung ist es interessant, das Wissen der Bürger in lokalen Dingen anzuzapfen, um so technokratische und weltfremde Lösungen zu vermeiden. Weiterhin können partizipative Bürgerhaushalte dazu dienen, die Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Mittel und die Notwendigkeit der Gegenfinanzierung zu verdeutlichen. Allen Bürgerhaushalten ist gemein, dass sie eine Stärkung des politischen Interesses der Bürger anstreben. Schliesslich können Bürgerhaushalte auch verwendet werden, um ohne viel Aufwand Bürgernähe zu simulieren. Besonders gut geeignet dafür ist ein kleinvolumiger konsultativer Bürgerhaushalt. Hier gibt es relativ wenig Geld zu verteilen, und ausserdem kann das Parlament immer noch den Bürgerwillen überstimmen. Der Bürger hat also sowohl qualitativ als auch quantitativ wenig zu melden, das Risiko für die Verwaltung ist gering, aber man kann sich mi dem Etikett  „Bürgerhaushaltskommune“ schmücken. Bürgerhaushalte sind in der letzten Dekade hip geworden, und alle Kommunen wollen so was haben. Dabei kommen dann aber seltsame Dinge raus.

In Xhain gab es schonmal einen Bürgerhaushalt, der auch heute noch eingesehen werden kann. Die Beteiligung war damals dürftig. Gründe dafür könnten Neuheit, mangelnde Werbung, unzureichende Kommunikationsstrategien, geringe Einflussmöglichkeiten, unzureichende politische Unterstützung oder eine Kombination daraus sein.

In diesem Jahr sollte dann ein neuer Bürgerhaushalt in Angriff genommen werden. Im April wurde eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die bis zur Juni-BVV ein Konzept erstellen sollte. Die Piraten standen dem aufgrund der Kürze der Zeit sehr kritisch gegenüber (schlugen z.B. auch die Aussetzung vor), beteiligten sich aber mit regelmässig mehr als drei Teilnehmern an den Treffen. Die Piratenfraktion kümmerte sich auch um Referenten; nachdem aber ein Referent in einer Fußnote der Tagesordnung unbemerkt ausgeladen wurde, nahm auch hier die Motivation ab. Die anderen Fraktionen waren (ohne CDU) im Mai noch gut vertreten. Ende Mai wurde klar, dass der Zeitplan wie erwartet nicht zu halten war, und die September BVV wurd angepeilt. Linke und SPD brachen weg, und schließlich kam von den Grünen auch nur noch eine Bürgerdeputierte. Dass
der Bezirskbürgermeister unentschuldigt fehlte und auch die Bezirksstadträte selten an den Sitzungen teilnahmen, ließ an der Breite der Unterstützung zweifeln. Die Zivilgesellschaft war hingegen mit dem Stadtteilbüro Friedrichshain und dem Verein Mehr Demokratie sowie verschiedenen Kiezinitiativen gut vertreten. Die Verwaltungsmitarbeiterinnen zeigten sich auch sehr engagiert. Diskussionsverlauf und Ergebnisprotokoll zeigten hingegen häufig signifikante Abweichungen, so dass
regelmässig Mängel angemerkt werden mussten. So ergab die Diskussion z.B.,dass sowohl Offine- als auf Online-Beteiligung möglich sein muss, umverschiedenen Schichten der Bevölkerung eine Teilnahme zu ermöglichen, im
Protokoll war die Online-Beteiligung dann aber verschwunden.

In der Offline-Betetiligung waren ca. 10 Veranstaltungen vorgesehen. Diese verursachen einen signifikanten Overhead (Saalmiete, Equipment, Überstunden). Diese Woche wurden wir informiert, dass  das Bezirksamt bezweifelt,

dass das vorgelegte anspruchsvolle
Rahmenkonzept der interfraktionellen Arbeitsgruppe personell und vom zeitlichen Aufwand
dauerhaft durchgeführt werden kann

, da hierfür aufgrund der generellen Haushaltslage kein Geld vorhanden ist. Die Offline-Beteiligung soll also ausfallen, und der „Bürgerhaushalt“ nur online stattfinden. Die Piraten stehen neuen Technologien offen gegenüber, aber eine Abschaffung der Offlinebeteiligung geht aus Beteiligungsgesichtspunkten nicht. Es kann nicht sein, dass lediglich technikaffine Menschen über die Verwendung der
Bürgerhaushaltsmittel in Xhain entscheiden dürfen und Rentner ohne Internet oder Menschen, die mit der Schriftsprache Schwierigkeiten haben, sich gar nicht mehr äussern können.

Der Bürgerhaushalt in Xhain ist tot. Das angestrebte Format hat nichts mehr mit einem Bürgerhaushalt im engeren Sinne zu tun.  Der Haushalt in Xhain kann derzeit vom Bürger nicht beeinflusst werden. Die bestehenden Instrumente der Bürgerbeteiligung (d.h. die Onlinemöglichkeiten) können aber als „Bezirkliches Vorschlagswesen“ ohne Haushaltsrelevanz weitergeführt werden. Dann muss man sich auch keine Sorgen mehr um Repräsentativität machen.

Das ist ernüchternd. Die Frage, die ich mir stelle, ist aber auch noch: Dies alles muss dem Bezirksbürgermeister und Finanzstadtrat schon im Mai klargewesen sein. Was war also der Sinn der zum Scheitern verurteilten interfraktionellen Arbeitsgruppe?

 

Disclaimer: Dieser Post ist von mir als stellvertretendem Bürgerdeputierten verfasst worden und stellt keine offizielle Aussage der Frakion dar.

Ein Kommentar

  1. 1

    „Was war also der Sinn der zum Scheitern verurteilten interfraktionellen Arbeitsgruppe?“

    Hat am Ende leider Zeit gekostet, die man auch effektiver hätte nutzen können. Vielleicht wollte man hier auch nur „Störer“ mit „Nonsens“( im Sinne von „Wir wissen, dass hier nichts raus kommen kann und beschäftigen die Unliebsamen damit für ein paar Monate) abstellen.

    Schade um den Bürgerhaushalt und die Mühe, die ihr euch gemacht habt…
    Mehr Demokratie sieht anders aus. :/

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