Mein erstes Mal. Rückblick auf 2011/2012.

Es begann mit einer Geschäftsordnungs-Orgie und führte über ein EU-Projekt und Tempelhof-Schöneberg auf das Dach des Rathauses Kreuzberg, um an der Daimler-Zentrale zu enden. Nebenbei wurden noch diverse Open-Data-Prinzipien verankert, die anonymisierte Bewerbung vorangetrieben und dem Bezirksamt zwei Fails um die Ohren gehauen.

1. Piraten finden Geschäftsordnungen (GO) geil. Die GO der BVV Xhain war noch nicht geil; das musste geändert werden. Klarmachen zum Ändern ab Drucksache 0: in der ersten, traditionell eher zeremoniellen, Sitzung der BVV ballerten die Piraten gegen die Geschäftsordnung los. Öffentlichkeit aller Gremien, Veröffentlichung aller Protokolle, Streaming der Sitzungen, Rederecht für Bürger in Ausschüssen und eine demokratischere Verteilung der Bürgerdeputierten wurden gefordert. Die etablierten Parteien fanden den Verstoß gegen die Etikette des Zeremoniells nicht so gut, konnten aber letztendlich überzeugt werden, so dass die nun gültige GO mit Ausnahme der Öffentlichkeit der Bezirksamtssitzungen alle Piratenforderungen umgesetzt hat. mehr zur ersten Sitzung

2. Der zweite Streich: Akquirierung eines EU-Projekts zur Verwaltungsmodernisierung mittels Open Data noch bevor der zuständige Ausschuss (BüTraVIG) konstituiert war. Klarmachen zum Ändern ab Drucksache -1. PUBLINK-Winners

3. Mithilfe der Bürgerdeputierten wurde der Ausschuss „Stadtplanung und Quartiersmanagement“ aus seinem Dornröschenschlaf als Abnickausschuss befreit. Architekt Carsten Joost von „Mediaspree Versenken“, Stadtplaner Uli Zedler und BVV-Verordneter Ralf Gerlich zeigten, dass diverse Instrumente zur Verfügung stehen, um eine bürgerfreundlichere Baupolitik zu erreichen. Legendär ist die gemeinsame Sitzung mit Tempelhof-Schöneberg, wo a) dem Tempelhofer Baustadtrat klar gemacht wurde, dass die Bauplanung der Eylauer Strasse auf willkürlicher und inkonsistenter Rechtsauslegung fußt und b) der Ausschussvorsitzende aus TS mit dem Diskussionswunsch der anwesenden Mitglieder einer Bürgerinitiative überhaupt nicht klarkam, ihnen den Mund verbot, der Pirat Michael Ickes aber alle Beiträge der Bürger mit seinem Rederecht wiederholte, woraufhin der Vorsitzende ob soviel Bürgermitsprache die Sitzung abbrach. TAZ-Artikel

4. Freifunk haben wir im Wahlprogramm, Freifunk haben wir gemacht. Das Rathaus Kreuzberg hat jetzt Freifunk. Wir arbeiten weiter an der Verbindung zu anderen hohen Gebäuden in Berlin. Bericht der Freifunker

5. Open Data haben wir im Wahlprogramm, Open Data haben wir gemacht. Folgende Prinzipien wurden festgezurrt: Lizenzen sollen klar angegeben werden, Weiternutzungsrechte sollen bei Beauftragungen an Dienstleister vertraglich gesichert werden, Rohformate sollen neben Endformaten angegeben werden. Als konkretes Projekt setzten die Piraten setzen gegen
anfänglichen Widerstand einen maschinenlesbaren Haushalt durch, der jetzt
auch in anderen Bezirken Schule macht Xhain, Lichtenberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte, Marzahn-Hellersdorf
Im Ausschuss PHI wurde auf Initiative der Piratenfraktion zusammen mit Bürgerdeputierten aus ganz anderen Ausschüssen und dem Squad PHI der Antrag „maschinenlesbare Haushaltsunterlagen“ beschlossen, der auf Antrag von Franz-Josef Schmitt (BD GesIK) auf der LMV 2012.2 in Berlin mit überwältigender Mehrheit als Positionspapier angenommen wurde. Die zunächst ablehnende Haltung des Bezirksbürgermeisters Schulz (im Gegensatz zur Basis der Grünen) wurde argumentativ umschifft, so dass Herr Schulz seine Partei nicht überzeugen konnte, den Antrag abzulehnen. Dieser Antrag wird inzwischen auch übergreifend in anderen Bezirken gestellt, so zum Beispiel in Treptow Köpenick

6. Man kann ja nicht immer nur konstruktiv sein, daher haben wir dem Bezirksamt auch mal was um die Ohren gehauen: Vermietung von Jugendclubs an Privatsender, die Scripted Reality Jugendgang-Dokusoaps drehen wollen, während die Jugendlichen draussenbleiben müssen, geht nicht.
Reduktion des Bezirkes auf geschniegelte weiße heterosexuelle Vater-Mutter-Kind-Familien in der Aussendarstellung geht auch nicht.

7. Die Möglichkeiten von Bürgerdeputierten wurden bei der anonymisierten Bewerbung aufgezeigt. Ein Antrag auf Testen anonymer Bewerbungen wurde in 4 verschiedene Ausschüsse überwiesen, die dem Antrag anfangs mehrheitlich negativ gegenüber standen. Der Bürgerdeputierten Lena Rohrbach gelang es aber, durch geduldige Argumentation letztendlich alle 4 Ausschüsse zu einer positiven Beschlussempfehlung zu bringen, der die BVV dann auch folgte. Antrag

8. Daimler-Benz möchte eine Konzernzentrale im Bezirk. Dazu wird ein neues Areal mit einer neuen Strasse erschlossen, die einen Namen brauchte. Daimler wollte einen Selbstbeweihräucherungsnamen, #irgendwasmitbenz. Die Piraten wollten gerne einen Namen, der die Geschichte Daimlers umfassender beleuchtet und schlugen daher Edith Kiss vor. Edith Kiss war Zwangsarbeiterin im Nationalsozialismus, die in Konzentrationslagern für Daimler Flugzeugmotoren montieren musste. Sowohl die BVV als auch Daimler konnten von diesem Vorschlag überzeugt werden, so dass demnächst die Edith-Kiss-Strasse eingeweiht werden wird. TAZ-Artikel

Im Jahr 2012 haben wir die BVV eigentlich ziemlich gerockt, und werden damit 2013 auch weitermachen.

Außerparlamentarische Aktivitäten der Fraktion:
Teilnahme an Bürgerversammlungen (Ostkreuz, Pückler-Kiez, Tempelhofer Feld usw.),
öffentliche Bürgersprechstunden beim Bergmannstraßenfest, bei der Besetzung einer Ferienwohnung und 14x am Chamissoplatz,
Instandsetzung der Blinden-Anlage an den Ampeln Mehringdamm/Gneisenaustr. bei der
Verkehrslenkung Berlin erfolgreich veranlasst, Bauaufsicht im Interesse der Anwohner des Yorckdreiecks eingeschaltet und Vorgehen gegen Investor vereinbart falls er sich nicht an Baustopp hält,Teilnahme an Solidaritätsaktion für Refugees (4,5 t Hilfsgüter an einem Wochenende in Berlin gesammelt,..

Bericht von der Fraktionssitzung am 14.01.2013

Auseinandersetzung um Yorckdreieck geht in die nächste Runde

Bereits die Dezember-BVV war von Protesten der Anwohner gegen fehlende Bürgerbeteiligung begleitet. Anfang Januar traf sich die Fraktionsversammlung der Piraten mit Vertretern der verschiedenen Anwohnerinitiativen, die sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben.

Sieben konkrete Änderungsanträge zum Bebauungsplanentwurf wurden im Anschluss formuliert und eingereicht. Eine ursprünglich für den 16.1. geplante Sonder-BVV fand nicht statt, weil die Bezirksverordneten in Tempelhof-Schöneberg (die auch über das Projekt abstimmen) noch keine Unterlagen erhalten hatten und sich erst später damit befassen werden. Über Wochen hatte der Investor (Hellweg-Baumarkt) versucht, Druck auf eine schnelle Entscheidung mit zum Teil fadenscheinigen Argumenten zu machen. Inzwischen beschloss die BVV Tempelhof-Schöneberg die Einberufung einer Einwohnerversammlung nach §42 Bezirksverwaltungsgesetz auf Wunsch der Anwohner.

Vergreisung der Bezirksverwaltung

Die Fraktionsversammlung hatte am 14.1. die Jugend- und Auszubildendenvertretung zu Gast. Die Jugendlichen informierten zur Ausbildungssituation in der Bezirksverwaltung. Zur Zeit bestehen keine Vereinbarungen zur Übernahme von Auszubildenden nach ihrer Ausbildung, obwohl das Durchschnittsalter in der Verwaltung schon jetzt deutlich über 50 Jahre liegt. Die Piraten werden sich beteiligen, wenn die JAV zu diesem Thema Aktionen durchführt und versuchen, im Rahmen der Haushaltsberatungen die Übernahme von Auszubildenden durchzusetzen.

Edith-Kiss-Straße

Während eines Treffens mit Historiker Bauer von der Gedenkstätte des ehem. KZ Ravensbrück wurden weitere Ideen im Zusammenhang mit der Benennung der Planstr. D an der neuen Daimler-Niederlassung nach der ehemaligen Zwangsarbeiterin Edith Kiss diskutiert. Im Foyer der Unternehmensfiliale sollte ein Ort würdigen Gedenkens an die ungarische Bildhauerin gestaltet werden. Dieser und weitere Vorschläge werden demnächst im Gespräch der Piratenfraktion mit Bezirksbürgermeister Franz Schulz erörtert.

Quantitative Analyse II: welche Ausschüsse beackert die Fraktion?

Im letzten Post habe ich dargestellt, welcher Instrumente sich die Piraten in der BVV vorzugsweise bedienen, und welche sie weniger nutzen. Die Datenlage erlaubt auch, Schwerpunkte des Fraktionshandelns festzustellen. Anträge der Piraten wurden in folgenden Ausschüssen behandelt.

 

Es zeigt sich, dass wie erwartet Bürgerbeteiligung und Transparenz ein Schwerpunkt der Piratenarbeit sind. Überraschend ist, dass Stadtplanung an zweiter Stelle steht. Beim Block Inklusion, Migration und Queer, der das Piratenthema Teilhabe behandelt, konnten die Piraten bisher noch nicht mit Masse punkten. Wie schon im letzten Post erwähnt, kann natürlich ein Antrag wie der zum anonymisierten Bewerbungsverfahren wesentlich mehr Aufwand machen als 5 Anträge auf Änderung der Geschäftsordnung, so dass auch hier die Statistik mit Vorsicht zu interpretieren ist. Die Grafik zeigt dennoch sehr deutlich, in welchen Bereichen noch Potential zum Klarmachen zum Ändern ist.

 

Rohdaten:

Bürgerbeteilung & Transparenz 13,83
Stadtplanung 12,5
kein Ausschuss 4
Haushalt 3,25
Immobilien 2,5
Wirtschaft 1
Inklusion 0,75
Migration 0,57
Queer 0,57
Soziales 0,5
Jugendhilfe 0,5

Jeder Antrag zählt 1,0, bei Überweisung in mehrere Ausschüsse entsprechend aufgeteilt. Anträge, die ohne Überweisung direkt in der BVV behandelt wurden zählen als 1,0 in „kein Ausschuss“

Quantitative Analyse der Arbeit der Piratenfraktion in der BVV

Das Ende eines kalendarischen Jahres ist ein guter Zeitpunkt, um mal über die Resultate piratiger BVV-Arbeit zu reflektieren. In diesem Post werde ich mich zuerst einer quantitativen Analyse widmen: wieviel haben die Piraten im Vergleich zu anderen Parteien gearbeitet, welche Instrumente wurden viel verwendet, welche weniger? Es ist klar, dass eine quantitative Analyse nur eine Facette darstellt, da man mit wenigen präzisen Initiativen unter Umständen mehr erreichen kann als mit viel Geschwurbel. Eine qualitativere Analyse folgt in einem separaten Post.

Die Piraten stellen 5 Bezirksverordnete. Damit gehören sie wie die CDU (4) und die Linke (7) zu den kleineren Fraktionen. SPD (13) und Grüne (22) können auf mehr Ressourcen zurückgreifen.

Insgesamt haben die Piraten 59 parlamentarische Vorgänge angestossen (Anträge, Anfragen, Resolutionen). Davon waren 54 rein piratige Initiativen und 5 gemeinsame Initiativen mit anderen Parteien. Gewichtet ergibt das 55,6. Das ist weniger als Grüne (168,26), aber mehr als die CDU (33,6), was ganz klar die unterschiedliche personelle Stärke der Fraktionen widerspiegelt. Wenn man die personelle Stärke einebezieht, ergibt sich folgendes Bild:

Die Piraten sind also recht fleißig.

Eine genauere Analyse der parlamentarischen Tätigkeit zeigt, dass die Piraten sich von den anderen Parteien in ihrer Arbeitsweise unterscheiden, wobei die Interpretation hier noch Schwierigkeiten macht: Die Piraten stellen sehr wenige mündliche Anfragen und bringen wenige Resolutionen ein, sind aber dafür Spitzenreiter bei Anträgen.

Eine Besonderheit ist, dass die Piraten sehr gerne ihre Anträge wieder zurückziehen, ein Vorgehen, das bei anderen Fraktionen seltener vorkommt. Selbst wenn man die zurückgezogenen Anträge herausrechnet (kürzerer Balken in der Grafik), sind die Piraten aber immer noch die fleißigsten Antragsschreiber.

Eine erste vorsichtige Interpretation wäre, dass die Piraten gerne Dinge per Antrag verändern wollen, aber wenig Interesse an Symbolpolitik (Resolutionen) und Showanträgen haben. Statt publikumswirksam Anträge ablehnen zu lassen und eventuell PR-Kapital daraus zu schlagen, werden die Anträge lieber zurückgezogen, wenn keine Mehrheit in Aussicht steht, oder die Gegenseite bessere Argumente hat. Die Abwesenheit von mündlichen Anfragen deutet darauf hin, dass die Piraten ihre Politik zur Zeit noch aus sich selbst heraus generieren und die Arbeit des Bezirksamtes und deren Kontrolle für sie nicht zentral ist. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass die Piraten nur mit einer „privilegierten Partnerschaft“ mit den Linken im Bezirksamt vertreten und daher nicht immer auf dem allerneuesten Stand sind. Für die Zukunft wäre zu überlegen, ob mehr pressewirksame Resolutionen und Anfragen erstellt werden sollten, und ob die Praxis des Zurückziehens von Anträgen zielführend ist.

 

Rohdaten:

Verordnete Resolution gemeinsame Resolution Summe Resolutionen Resolutionen/Verordneter Antrag beendete DS laufende DS gemeinsame Anträge Summe Anträge zurückgez. Antrag Summe eingereichte Anträge Behandelte Anträge/Verordneter eingereichte Anträge/Verordneter Grosse Anfrage mdl. Anfrage mdl Anfragen/Verordneter Total Initiativen Initiativen/Verordenter
Grüne 22 4 0.83 4.83 0.2195454545 97 4.43 101.43 2 103.43 4.6104545455 4.7013636364 0 60 2.7272727273 168.26 7.6481818182
SPD 13 1 0.33 1.33 0.1023076923 50 3.43 53.43 2 55.43 4.11 4.2638461538 0 59 4.5384615385 115.76 8.9046153846
Linke 7 3 0.83 3.83 0.5471428571 38 2.93 40.93 4 44.93 5.8471428571 6.4185714286 2 24 3.4285714286 74.76 10.68
Piraten 5 1 0 1 0.2 29 1 1 1.6 32.6 13 45.6 6.52 9.12 1 8 1.6 55.6 11.12
CDU 4 4 0 4 1 11 0.6 11.6 3 14.6 2.9 3.65 0 15 3.75 33.6 8.4
51 12.99 239.99 24 263.99 3 166