Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen,
auf unserer heutigen Fraktionssitzung haben wir über die zukünftige Zusammensetzung des Bezirksamtes gesprochen. Dabei haben wir uns entschieden, die anderen Fraktionen der BVV auf einen Umstand hinzuweisen, auf den wir von unserer Basis angesprochen wurden. Es handelt sich — in aller Kürze — um die Frage, ob die Anwendung des d’Hondt-Verfahrens zur Zuweisung der Stadträte in der aktuellen Legislatur angemessen ist oder ein anderes Verteilungsverfahren in Erwägung gezogen werden sollte. Wir würden diese wichtige Frage gerne in der kommenden Sitzung des Geschäftsordnungsausschuss mit Ihnen und Euch diskutieren. Im Folgenden möchten wir unsere Gedanken detailliert auflisten:
Im Berliner Bezirksverwaltungsgesetz § 35, Absatz 2 steht:
„Das Bezirksamt soll auf Grund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem nach dem Höchstzahlverfahren (d’Hondt) berechneten Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden.“
Das Gesetz gibt also zwei Regeln vor:
-inhaltlich die Beachtung des Stärkeverhältnisses
-methodisch die Anwendung von d’Hondt
(Dabei wiegt die inhaltliche Vorgabe stärker als die methodische)
Interessant ist dazu die Kommentierung von Ottenberg (in Berlin anerkannter Experte in Sachen Bezirksverwaltungsgesetz):
„Kommentierung und Rechtsprechung gehen davon aus, dass die Soll- als Muss-Vorschrift auszulegen ist. Dem ist bei teleologischer Auslegung nicht völlig zu folgen. Ergeben sich nach einer Wahl außerordentliche Mehrheits- und Stärkeverhältnisse in einer BVV mit der Folge, dass sie durch Anwendung des Höchstzahlverfahrens nicht angemessen reproduziert werden können, ist die Bildung des Kollegialorgans (in unserem Fall das Bezirksamt) durch ein anderes demokratisches Auswahlprinzip zulässig, weil eine Soll-Vorschrift lediglich die übliche Normauslegung beinhaltet. Eine Abweichung von der für den üblichen Fall vorgegebenen gesetzlichen Berechnung der Sitzverteilung im BA unterliegt besonders strengen Anforderungen. Im Hinblick auf die politische Bedeutung einer solchen Durchbrechung des Regelfalles müsste eine Mehrheit in der BVV davon ausgehen, dass diese Entscheidung auf Initiative der Minderheit einer verwaltungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden würde.“
Die Anwendung von d’Hondt für Friedrichshain-Kreuzberg würde konkret bedeuten:
Das Bezirksamt (4 Stadträte und 1 Bürgermeister) hat 5 Plätze. Jeder Platz stellt also 20% der insgesamt zu vergebenden Plätze dar. Nach d’Hondt wäre dies 3-1-1. D.h. die Grünen stellen 60% des Bezirksamts, obwohl sie nur 22 Sitze in der BVV haben (40% bei geplanten 55 Sitzen, real etwas mehr, weil nur 51 Sitze vergeben sind, aber immer noch unter 50%.)
Nun ergibt die Anwendung des d’Hondt-Verfahrens im aktuellen Fall eine grobe Verzerrung des Stärkeverhältnisses (Eine Partei erhält 50% mehr Sitze im Bezirksamt als ihr zufallen würden, wenn das Verhältnis der Sitzverteilung in der BVV auf das BA übertragen würde, welches zu einer Mehrheit für diese Partei im BA führt, die im Plenum nicht besteht.). Diese Fakten rechtfertigen die Abweichung von d’Hondt und die Anwendung von z.B. Hare-Niemeyer, weil dann wechselnde Mehrheiten je nach Sachentscheidung möglich sind.
Wir würden uns sehr freuen, dies mit Ihnen und Euch in den nächsten Tagen und in der nächsten Sitzung des Geschäftsordnungsausschuss zu diskutieren.
Mit kollegialen Grüßen
Die Fraktion der Piraten
Und was bedeutet das konkret? Ich hab mal einen Rechner bemüht (als angehender Jurist kann ich das ja nicht selber rechnen.) Eingegeben hab ich Grüne 22, SPD 13, Linke 7 Piraten 5, CDU 4, insgesamt also 51 Stimmen=BVV-Verordnete.
Bei 5 StadträtInnen heißt das:
d’Hondt: Grüne 3 SPD 1 Linke 1 Piraten 0 CDU 0
Sainte Laguë/Schepers: Grüne 2 Spd 1 Linke 1 Piraten 1 CDU 0
Hare/Niemeyer: Grüne 2 SPD 1 Linke 1 Piraten 1 CDU 0
Das heißt: Ihr reklamiert eine unerträgliche Verzerrung des Wahlergebnisses (eine Mindermeinung in einem Kommentar sagt was von „außerordentlich“, und „besonders strenge Anforderungen“), damit einE GrüneR StadtraEtIn zu den Piraten wandert. Dafür wollt ihr ein Verfahren, dass das Ergebnis mindestens ebenso unerträglich verzerrt, denn: 1. haben die Grünen gut viermal soviele Sitze wie die Piraten, hätten aber nur doppelt so viele StadträtInnen. Das heißt eine Grünen-Stimme hätte nichtmal den halben Wert einer Piratenstimme. Dazu fällt die CDU als einzige Partei hinten runter, obwohl sie nur einen Sitz weniger hat als die Piratenfraktion.
Bitte argumentiert also, warum es euch nicht um den euch „nach dem Wählerwillen an sich“ zustehenden Posten geht, sondern um Demokratie und den möglichst unverzerrten Wählerwillen.
Bedenkt dabei am besten eine fiktive Abwandlung, wonach es noch eine Fraktion mehr gibt. Wenn alle etwas abgeben, dafür aber noch eine sechste Fraktion hinzu käme, wären das z.B.
Grüne 20 rechnerisch 2,04 tatsächlich 2
SPD 12 rechnerisch 1,22, tatsächlich 1
Linke 6 rechnerisch 0,61, tatsächlich 1
Piraten 5 rechnerisch 0,51 tatsächlich 1
CDU 3 rechnerisch 0,30, tatsächlich 0
FDP 3 rechnerisch 0.30, tatsächlich 0
Heißt: Nur bei den Grünen wird das Ergebnis in etwa gerecht, die SPD bekommt deutlich zu wenig, Linke und Piraten deutlich zu viel, und schwarz-Gelb ginge ganz leer aus.
Der Fairness halber: Nach d’Hondt wäre das Ergenis bei der Abwandlung noch schlimmer. Aber es ist letztlich nur eine Frage des Geschmacks, ob man die „großen“ Parteien bevorzugt oder die „kleinen“. Solange man keine Zeitkomnten einführt und sich StadträtInnen „teilt“ wird es nicht gehen, die beschränkten Stadtratsposten gerecht auf alle zu verteilen. Dazu kommt noch: selbst wenn das Bezirksamt paritätisch besetzt wird, ist es doch die „Regierung“. Es spricht meiner Ansicht nach nichts dagegen, die Stadtratsposten auf die großen Fraktionen mit Mehrheit in der BVV zu verteilen, sofern kleine und Kleinst-Fraktionen dort im „Parlament“ über ausreichende Minderheitenrechte verfügen, um ihre Kontrollfunktion wahrnehmen zu können.
Grüne Grüße
Pascal
Basis-Grüner in xHain
Der verwendete Rechner war übrigens:
http://www.wahlauswertung.de/probewahl/sitzverteilung/
Hier nochmal das kleine Einmaleins des Wählerwillens in X-Hain:
35,5 % der Wähler haben den Grünen ihre Stimme gegeben. Das sind gut ein Drittel, genaugenommen 2,2 % über einem Drittel (33,3%).
Nach d’Hondt würden ihnen aber knapp ZWEI Drittel der Stadtratsposten zustehen, inklusive Bürgermeister, der zusätzlich über ein Mehrheitsvotum bei drohendem Abstimmungspatt verfügt, also fast das Doppelte der Wählerstimmen.
Das ist verdammt starker Tobak, wenn man das Wählervotum ernst nimmt.
Die Piraten haben 14,3 % bekommen, also fast doppelt soviel wie die CDU, und nahe an einem Fünftel der abgegebenen zählenden Stimmen.
Verdammt starker Tobak, wenn man sich hinstellt und sagt ihnen stehen genau Null Prozent Beteiligung am Bezirksamt zu. Denn bekannterweise wird die eigentliche Bezirkspolitik genau dort veranstaltet, im Bezirksamt.
Und was soll bitteschön dieser – mit Verlaub – schwachsinnige Ansatz einer faktisch nicht mehr existenten „FDP“ irgendwelche Mandate, nicht gegebene Wählerstimmen oder Ähnliches fiktiv zuzurechnen.?
Realitätsverweigerung oder hoffentlich nur vorübergehende Wahrnehmungsstörungen? Der reale Stimmenanteil beträgt 0,9 Prozent.
Peter Klose
Nachtrag:
Bei grob gerundet 50 Millionen Wählern in der Bundesrepublik Deutschland für ebenso grob gerundeten gut 500 Bundestagsabgeordneten ist das d’Hondt-Verfahren sicherlich sinnvoll, um eindeutige Mehrheiten abzubilden. Dabei dürften sich die Unterschiede zu reinen Prozentualzuordnungen kaum über wenige Prozent hinausbewegen.
Im hier vorliegenden Fall trifft aber das genaue Gegenteil zu: Bei nur 51 „Wählern“ für 5 „Sitze“ schafft d’Hondt groteske Verzerrungen, die stärkste Fraktion erhält nahezu eine Verdoppelung ihrer Sitze gegenüber dem Wählervotum.
Das ist mit keinem demokratischen Prinzip vereinbar.
Peter Klose
Das sind unterschiedliche Ansatzpunkte. Wenn ich das richtig verstanden habe, werden die StadträtInnen nach dem (tatsächlichen!) Stärkeverhältnis der BVV-Fraktionen am Wahltag gebildet. Da fallen also nicht besetzte Plätze ebenso raus wie die Leute, die ihre Stimme an eine unter 3%-Partei verschwendet haben (genaugenommen auch NichtwählerInnen, Menschen unter 16 und Menschen aus Nicht-EU-Staaten). Wenn man also das ganz große Fass aufmacht, soll man das ganz große Fass aufmachen und die Regelungen da anpassen, anstatt unseriös mit dem Stimmergebnis anstatt der maßgeblichen BVV-Fraktionsstärke an der Postenvergabe herumzudoktern.
Und dann sieht es aus wie oben beschrieben. Da leuchtet es mir dann nicht ein, warum ein Verfahren, so viel gerechter sein soll, in dem sich 11 Grüne einen Stadtrat teilen müssen, aber nur 5 Piraten, und die 4 CDU-ler als einzige ganz leer ausgehen. Da habe ich von euch noch keine Argumente gelesen. Die kann es ja vielleicht geben (wie gesagt, ich kenne mich da nicht groß aus), aber so wie ich das sehe, gibt es einfach keine Möglichkeit, 5 Posten gerecht auf 3-8 mögliche Fraktionen zu verteilen, um damit die alle einzubinden und das Stärkeverhältnis vollständig abzubilden. Wenn aber ein Verfahren so ungerecht ist wie das andere, leuchtet mir nicht ein, warum man wechseln sollte. Außer eben, um einen Posten (und damit Information, Macht und Mandatsträgerbeiträge) zu bekommen.
Transparent ist übrigens nicht nur, was man sagt, sondern auch was man weglässt. In diesem Sinne sagt Ottenberg (in Berlin anerkannter Experte in Sachen Bezirksverwaltungsgesetz) ein paar Sätze vor euerm Zitat in § 35 Rn. 3:
„Da sich die Mehrheits- und Stärkeverhältnisse der Fraktionen in der BVV bei der Bildung eines Organs mit deutlich weniger Mitgliedern in Abhängigkeit von dem angewandten Zählverfahren mitunter unterschiedlich abbilden lässt, eine völlige Spiegelbildlichkeit aus mathematischen Gründen mithin nicht erreicht werden kann, spielten parteipolitische Auseinandersetzungen über die Besetzung dieser „Machtposition“ nach dem jeweiligen Wahlergebnis eine besondere Rolle.“
Dazu kommt dann noch ein Überläufer-Angebot seitens der SPD, das ihr mit „schlechter Stil, nicht wenn es bessere Möglichkeiten gibt, wir wissen nicht was Basis sagt, können daher aber keine Aussage machen.“ kommentiert.Neben den „Wählerwillen“ tritt also ganz stark auch ein machtpolitisches Interesse.
Oder fordert ihr die Änderungen explizit unanbhängig von einem Wahlergebnis, also erst für die nächste Legislaturperiode?
Lieben Gruß
Pascal
Verdammt starker Tobak wenn man das argumentative Hinzuziehen der Wählerstimmen („der Souverän“) als „unseriöses … herumdoktern“ bezeichnet.
Und die verschiedenen Zählverfahen sind ja eh _alle_ irgendwie ungerecht, nicht wahr? warum also was ändern? Nur weil hier die 22 Grünenabgeordneten mit einem Mal eine absolute Mehrheit von 60% im Bezirksamt bekommen, zuzüglich Bürgemeisterposten?
Der Unterschied zwischen absoluter Mehrheit und 22 von 51 Sitzen ist dir aber schon bekannt, oder? Noch dazu wenn der eigentliche Wahlgewinner mit – aus dem Stand – 14,3% der Wählerstimmen damit komplett leer ausgehen soll.
Und ja, das ist selbstverständlich eine machtpolitische Diskussion, da es bei demokratischen Wahlen grundsätzlich um die prozentuale Verteilung von Macht geht. Wer das als moralisch verwerflich darzustellen versucht macht sich verdächtig.
Für die Piraten geht es um die Teilhabe am unbestritten wichtigsten politischen Organ auf Bezirksebene, für die Grünen nur um einen Posten mehr oder weniger.
Peter Klose
Es geht denke ich im wesentlichen darum, dass im Bezirksamt nicht eine absolute Mehrheit herrscht. Wir wollen ja keine bayerischen Verhältnisse. Dies gilt umsomehr, da die Grünen ja keine absolute Mehrheit der Wählerstimmen haben .
Das DHondt-Verfahren ist bei kleinen Gremien ohnehin nicht das Mittel der Wahl, da durch dieses Verfahren systematisch die grössten Parteien bevorzugt werden, und bei vielen Verteilungen absolute Mehrheiten kreiert, die es so nicht gibt
Sebastian
Pirat
Ich empfinde dieses Geschacher als unwürdig und in deutlichem Widerspruch zu Anspruch und Selbstverständnis der Piraten.
Ja, es ist bekannt, dass der unselige Herr d’Hondt die realen Mehrheitsverhältnisse nicht korrekt abbildet. Das ändert aber nichts daran, dass das Verteilungsverfahren nach d’Hondt in Artikel 74 (1) Satz 2 der VvB vorgesehen ist. Dass diese Bestimmung in die Verfassung geriet und nicht einfach nur im BezVerwG steht, ist dem Umstand geschuldet, dass es auch vor 2002 wiederholt ein Polit-Geschacher über die Verteilung der Stadtrats-Posten gab.
Ja, es geht um Pfründe und Macht. Aber war es nicht das Anliegen der Piraten genau diese schmierige Politik á la Teppichbasar zu überwinden? Was da in der Morgenpost berichtet wird, unterstreicht die Unwürdigkeit dieses Schauspiels: »Die Piraten erwarten, dass der Stadtrat von seiner Vergütung genauso viel an die Piraten wie an seine Partei, an die Linke spendet.« Es geht also nicht um Politik, sondern um schnöde Staatsknete. Das ist kleine Münze, zu kleine Münze. …für ein Linsengericht.
Und es ist sicher nicht geeignet, eine Politik zu betreiben, die den Friedrichshain-Kreuzberger Bürgern irgend einen Nutzen in der bezirklichen Politik verschafft.
Ich halte ja schon lange dieses ganze Bezirksamtsgezerre nach jeder Wahl für ein reines Ärgernis. Die Bezirke brauchen ein durchsetzungsfähiges Bezirksamt mit qualifizierten Stadträten, die dem Senat Paroli bieten können. Deshalb trete ich für eine Dezernenten-Regelung ein, die die Amtszeit der Dezernenten von der Wahlperiode abkoppelt und die Dezernenten nach öffentlicher Ausschreibung in einem transparenten Besetzungsverfahren auswählt.